„Ich kam in der Erwartung, vergast zu werden. Plötzlich drückte man mir ein Cello in die Hand.“

Anita Lasker-Wallfisch liest im Eichendorff-Gymnasium

Erst in der vergangenen Woche berichteten die Medien, dass mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges viele Besucher von Gedenkstätten keinen Bezug mehr zu Krieg und Naziherrschaft haben. Wie erinnern ohne Zeitzeugen? Das Eichendorff-Gymnasium nutzte aus Anlass des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar die Gelegenheit, in einer Lesung den Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 10 bis 12 die Zeitzeugin Anita Lasker-Wallfisch vorzustellen.

Anita Lasker-Wallfisch, geboren 1925 in Breslau, kommt aus einem deutsch-jüdisches Elternhaus. Ihr Vater, im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, war Rechtsanwalt, ihre Mutter Geigerin. Die Eltern wurden 1942 deportiert und ermordet. Anita und ihre ältere Schwester Renate kamen in ein Waisenhaus. Sie arbeiteten als Zwangsarbeiterinnen in einer Papierfabrik und versuchten, für französische Kriegsgefangene Pässe zu fälschen. Mit gefälschten Pässen wollten sie selbst nach Frankreich fliehen. Doch schon am Bahnhof wurden sie von der Gestapo verhaftet, wegen Urkundenfälschung verurteilt und Ende 1943 nach Auschwitz deportiert. Sie wurden nicht in einem der üblichen Deportationszüge, sondern als Strafgefangene ins Vernichtungslager gebracht. Das war ein Glück. So kam Anita nicht sofort in die Gaskammer.

„Mein erster Eindruck war: Rauch, Geschrei, bellende Hunde, Gestalten in schwarzen Umhängen. Und über alldem der Gestank. Dann kam die Empfangszeremonie. Man musste alles ausziehen, das war die erste Entwürdigung. Man war nackt.“, so Anita Lasker-Wallfisch zu den Schülern. 

In Auschwitz hing das Leben davon ab, eine Funktion im Lager zu bekommen. Wenn man gebraucht wurde, hieß das, dass man vorerst nicht ermordet wurde. Im Gespräch mit einem anderen Häftling, einer Frau, die ihr die Häftlingsnummer eintätowierte, erzählte Anita, dass sie Cello spiele. Diese Frau war Alma Rosé, Tochter des Ersten Konzertmeisters der Wiener Philharmoniker, Nichte Gustav Mahlers und eine europaweit gefeierte Violinistin. In Auschwitz leitete sie das Frauenorchester, in dem Cellisten fehlten. So nahm Alma Rosé Anita in das Orchester auf. Das war ihre Rettung, denn fast alle Musikerinnen haben die Lager überlebt. „Alma war furchtbar streng, sie war eine komplizierte Frau. Hin und wieder hat sie uns angeschrien, wir hatten Angst vor ihr. Aber trotzdem verdanken wir ihr unser Leben.“

Auf die Frage, wie sie in Auschwitz inmitten der Hölle überhaupt Musik machen konnte antwortet Lasker-Wallfisch: „Ich war in der Erwartung angekommen, vergast zu werden. Und plötzlich drückt mir jemand ein Cello in die Hand und sagte: Spiel mal. Glaubt ihr, dass es da jemanden gibt, der sagt, nein, ich spiele nur in der Carnegie Hall?“ Nach ihrer Befreiung gab sie zu Protokoll: „Als 1944 Tausende von ungarischen Juden in das Lager gebracht wurden und aufgereiht standen, um in die Gaskammern geführt zu werden, mussten wir auch diesen Unglücklichen etwas vorspielen.“

Später erfolgte die Deportation des Orchesters ins Konzentrationslager Bergen-Belsen. Ihre Schwester Renate, die Anita in Auschwitz zufällig wieder gefunden hatte, ging freiwillig mit nach Bergen-Belsen. Beide überlebten das KZ Bergen-Belsen unter größten Schwierigkeiten. Nach der Befreiung im April 1945 und einem Jahr in Brüssel wanderten die Schwestern nach Großbritannien aus.

Anita Lasker-Wallfisch gründete zusammen mit anderen Musikern das English Chamber Orchestra. Sie heiratete den Pianisten Peter Wallfisch. Sie hat zwei Kinder und fünf Enkel. Fast alle sind Musiker. Ihre Lebenserinnerungen sind das eindrucksvolle Zeugnis eines deutsch-jüdischen Familienschicksals im 20. Jahrhundert und die sehr persönliche Chronik einer Überlebenden des Holocaust.